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Fachinformationen - Umwelt: Übersicht, 2008


Umweltgifte

Helmut Jäger, Thomas Fenner, in Löscher, Burchard (Hrsg): Tropenmedizin, Thieme, erscheint Herbst 2008

Das Wichtigste in Kürze

In vielen Reiseländern bestehen regional erhebliche, aber oft mit den Sinnen nicht wahrnehmbare Luftbelastungen und Verschmutzungen von Trinkwasser und Nahrungsmitteln. Bevölkerungsgruppen, die starken Schadstoffkonzentrationen in Ihrer Umwelt ausgesetzt sind und Migrant/innen aus betroffenen Regionen können erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen aufweisen. Auch Reisende kommen unbemerkt mit chemischen Stoffen in Berührung und können unspezifische Symptome oder Allergien entwickeln. Wahrnehmbare Belastungen wie Lärm, Straßenverkehrsdichte oder Smog wirken zudem als psychische Stressoren.

"All Ding' sind Gift und nichts ist ohn' Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist."
Paracelsus (1493-1541)

Die Geschichte der Epidemiologie begann mit einer Untersuchung zur Umwelthygiene: bereits 150 Jahre bevor John Snow die berühmte „Cholerapumpe“ in London versiegeln ließ, fand der Stadtphysikus Eberhard Gockel die Ursache des „Bauchgrimmens“ (Eisinger 1982). Das Ergebnis seiner 1669 abgeschlossenen Untersuchung „Über das Süßen von saurem Wein mit Bleiweiß und den großen Schaden für die, die ihn trinken“ führte zur ersten Hygieneverordnung Europas. Er wies mittels einer systematischen statistischen Aufzeichnung nach, dass die Inzidenz von Colica pictonum („Bauchgrimmen“) mit dem Weinpreis korreliert war und stellte die Hypothese auf, dass in Jahren schlechter Weinernte saurer Wein durch Süßen mit einem „Nervengift“ für den Verkauf verbessert würde. Bleiweiß schmeckt süß, wurde damals von Winzern häufig genutzt. In verdächtigen Weinproben konnte mittels Schwefelsäure Blei nachgewiesen werden. Seine Vermutung testete er dann bei gesunden Mönchen, die sonst keinen Wein tranken, und beobachtete nach Genuss verbleiten Weins die typischen Symptome der Colica pictonum. Heute ist diese akute Erkrankung wenig bekannt, aber in Entwicklungsländern durchaus präsent: in einem Vorort Dakars (Senegal) starben 2008 zwanzig Kinder daran.

Die von Menschen verursachten Schäden nehmen in einigen Regionen katastrophale Ausmaße an und wachsen sich in der Summe zu globalen Problemen aus. Die Umweltepidemiologie wird daher an Bedeutung gewinnen müssen. Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, wie in kurzer Zeit sehr große Bevölkerungsgruppen oder auch ganze touristische Regionen betroffen sein können:

Ein Expertenkomitee der WHO schätzt, dass etwa ein Viertel der Krankheitsbelastungen der Weltbevölkerung auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Erkrankungen von Kindern werden laut WHO zu 34% von Umweltfaktoren verursacht (Prüss-Ustün 2007).
Besonders relevant sind anorganische Stoffe wie Blei, Quecksilber, Arsen, Cadmium, Stäube unterschiedlicher Zusammensetzung, Asbest und organische Substanzen wie polychlorierte Biphenyle (PCB), Vinylchlorid oder DDT u.v.a. Asbest wurde in vielen Entwicklungsländern als billige Hausbedeckung verwandt; hohe Belastungen finden sich weiterhin in der Umgebung von Entsorgungsanlagen. Der Umfang der Gefahren, die von künstlichen Umweltgiften ausgehen, ist bisher nicht umfassend untersucht. Ausmaß und Häufigkeit einer Krankheit hängen von der Dosis eines einzelnen Schadstoffes und der Kombination verschiedener Gifte ab. Der Grad der Gefährdung, die von einer bestimmten Menge ausgeht, ist von Gift zu Gift sehr unterschiedlich und die komplexen Wechselwirkungen verschiedener Giftkombinationen meist völlig unbekannt. Für Schadstoffe und ionisierende Strahlen, die chronische Folgen wie Krebs oder Erbschäden auslösen, lässt sich kein „sicherer” Grenzwert festlegen, unterhalb dessen keine Gesundheitsgefährdung besteht.

Die Ballungsräume mit besonders schwerer und langfristig anhaltender Umweltverschmutzung sind in Tabelle 1 dargestellt. Besonders betroffen sind Regionen in Russland, seinen Nachbarstaaten, Indien und China.

Aber auch Bewohner ländlicher und bewaldeter Regionen können in ihrer Gesundheit durch Umweltbelastungen erheblich beeinträchtigt sein. Bis heute werden in Vietnam Kinder missgebildet geboren, deren Mütter in Regionen leben, die mit Agent Orange (Dioxin haltig) besprüht wurden. In Kolumbien wurde mittlerweile im Kampf gegen Drogenanbau in Bürgerkriegsregionen mehr Entlaubungsmittel eingesetzt als während des Vietnamkrieges. Ein anderes Risiko geht von illegalen Gold- und Mineraliensuchern aus, die große Mengen von Erde freispülen, Aufschwemmungen dann mit Quecksilber versetzen, in dem sich Gold löst, und die Abwässer dann in Flüsse leiten. Zahlreiche Flussläufe sind in der Folge mit Quecksilber belastet, das über die Nahrungskette wiederum die Bevölkerungsgruppen erreicht, die von Fisch leben. In sozial wenig entwickelten Regionen werden zudem unkontrolliert Pestizide eingesetzt, die besonders preiswert aber ebenso toxisch sind. Ein weiteres Risiko ergibt sich aus Kriegs- und Bürgerkriegsereignissen (Landschaftszerstörung, Landminenverlegung, zurückgelassene oder verschossene, z.T. noch strahlende Munition).

Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung verbrennt organisches Material (oft gemischt mit kleineren Mengen von Hausmüll) zum Kochen, Heizen oder zur Beleuchtung. Dabei wird häufig die Innenraumluft stark mit Ruß und anderen Schwebestoffen belastet. Bereits in der Lunge der etwa 5.300 Jahre alten Tiroler Gletschermumie ("Ötzi") wurden erhebliche Mengen an Sedimentationen als Folge der Einatmung des Rauchs offener Feuer nachgewiesen (Pabst 1998). Die Rauchbelastung in Innenräumen ist assoziiert mit der Inzidenz respiratorischer Infekte (inkl. Pneumonie und Tuberkulose), chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, niedrigem Geburtsgewicht und einer allgemein erhöhten Erkrankungsrate bei Kindern und Erwachsenen u.a. (Fullerton 2008). Folgeerkrankungen betreffen insbesondere Kleinkinder, Schwangere und Raucher.

Unklare chronische Krankheitserscheinungen nach Auslandsaufenthalt

Der Verdacht auf toxikologische Belastung ist bei einem langen Aufenthalt in gefährdeten Regionen insbesondere bei Personen mit Migrationshintergrund, die aus schwierigen Lebensbedingungen kommen, naheliegend. Die Begründung eines solchen Verdachts gestaltet sich aber meist langwierig und unergiebig, da meist zahlreiche, für sich allein kompensierbare Noxen gleichzeitig und über lange Zeiträume zusammenwirken. Z.Z. sind etwa zwölf Millionen chemische Verbindungen bekannt und monokausale Zusammenhänge der Schadenswirkung eines einzigen Stoffes sind meist auf Katastrophenereignisse beschränkt. Oft angeschuldigte so genannte Multiple Chemikaliensyndrome (MCS) können meist nicht verifiziert werden, und Überlagerungen mit Stress (Beispiel Golf-War-Syndrom) oder psychischen Erkrankungen sind häufig. Die Betroffenen stehen unter erheblichem Leidensdruck, da eine eindeutige Ursache ihres Problems oft nicht gefunden werden kann, die Behandlung von Begleitsymptomen wie Infektionsanfälligkeit keine langfristige Besserung bewirken und die ersehnte Heilung letztlich ausbleibt.

Nachweismöglichkeiten

Nachgewiesen werden Einzelsubstanzen, deren Belastung im Vordergrund des Krankheitsbildes stehen könnte:


Ergänzende Spezialdiagnostik

Schwachpunkt Niere
Die Ausscheidung von Metallen erfolgt in der Niere nicht gleichzeitig, sondern in folgender Reihenfolge: Zink, Selen, Kupfer, Arsen, Quecksilber, Blei, Eisen, Cadmium, Nickel, Chrom. Wenn die Konzentrationen von Kalzium, Eisen und Cadmium erhöht sind oder bei einer forcierten Ausschei-dung von Blei oder Arsen kann ein Zinkmangel entstehen. Zink ist ein natürlicher Bestandteil von etwa 200 Enzymen, die beteiligt sind an Protein-, Kohlenhydrat-, Lipid-, Alkoholstoffwechsel, Epitheldifferenzierung, Zellproliferation, Stabilisierung von Membranen, Komplexbildung von Peptidhormonen (Insulin), Rezeptorbindung des Insulins, Bildung von Testosteron, DNA- und RNA-Synthese, Freisetzung des Retinol-Komplexes aus der Leber, Blutbildung und Immunsystem.

Belastete Arzneimittel
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass 25% bis örtlich sogar 50% der Arzneimittel in vielen Ländern Afrikas und Südostasiens gefälscht oder unbrauchbar sind. Zahlreiche Medikamente sind zudem bei mangelhafter Produktionskontrolle mit Schadstoffen verunreinigt und können bei Export weltweit zu Vergiftungserscheinungen führen (Beispiele aus 2008: Heparin oder Zahnpasta chinesischer Herkunft). In Pflanzenpräpa-raten können Schwermetallverbindungen enthalten sein, die ggf. zu chronischen Erkran-kungen führen, z.B. wenn die Kräuterpräparate in Bleikesseln hergestellt wurden. Die Umwelt Indiens und Chinas ist zudem in vielen Regionen stark mit Quecksilber, Blei oder Arsen belastet, so dass diese Giftstoffe auch von Heilkräutern aufgenommen werden. Der Heilkräuteranbau findet zudem meist in ländlichen Gegenden auf kleinen Bauernhöfen statt, auf denen oft sehr billige und giftigste Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, und bis die Heilkräuter vom Feld in den Handel gelangen, durchqueren sie zahlreiche Zwi-schenstationen, die eine einheitliche Qualitätskontrolle erschweren. Bei Routineuntersu-chungen in Europa überschreiten die Schwermetallbelastungen importierter Pflanzenprä-parate für Ayurveda oder TCM aus Südostasien die zulässige Höchstgrenze oft um das Tausendfache.
Reisemedizin
Schäden durch Umweltgifte erfordern in der Regel einen langen Expositionszeitraum. Kurzurlauber sind also möglicherweise weniger betroffen. Gefährdeter sind Reisende, die aus beruflichen Gründen lange Zeit im Ausland verbringen und stark gefährdet sind Per-sonen mit Migrationshintergrund aus Armutsregionen.

Schadstoffbelastungen, mit denen Reisende und insbesondere Kinder konfrontiert werden können:

Empfehlungen vor der Reise:

Empfehlungen während der Reise:


Empfehlungen nach der Reise:

Fazit:

In der Medizin muss zunehmend mit Schadstoffbelastungen bei Patienten gerechnet wer-den, insbesondere bei Personen mit Migrationshintergrund. Infektanfälligkeit und psychi-atrische Probleme können im Vordergrund stehen, ohne die eigentliche Ursache eines Leidens darzustellen. Therapien bleiben häufig unbefriedigend. Reisende, besonders Eltern mit Kindern, sollten auf diese, bisher weitgehend unbeachteten Risiken aufmerksam gemacht werden.

 

HEF, 18.03.2009